Impressionen einer Exkursion in den Vinschgau / Südtirol im Juli 2010
Bereits im Jahr 2008 entstanden Wünsche bei der Planung für das Jahresprogramm 2009, die gewohnte Sommer-Sammelexkursion einmal in ein etwas weiter gestecktes Zielgebiet vorzunehmen. Bisher blieben die Mitglieder der Entomologischen Gesellschaft Magdeburg (EGM) in der näheren Umgebung Magdeburgs im zeitlichen Rahmen einer Eintagesunternehmung, so auch wieder 2009 mit dem Ziel Oberharz.
Erst im Dezember 2009 wurde auf erneuten Vorschlag von Holger Breitbarth der Wunsch nach Ausweitung des Betätigungsfeldes mit einer konkreten Zielvorstellung in das Programm 2010 aufgenommen : Es sollte in Anknüpfung an die hochinteressanten Erlebnisberichte befreundeter Entomologen aus Österreich nun Norditalien, speziell der Vinschgau sein. Mit allseitiger Zustimmung wurde die gemeinsame Exkursion wie bisher für den Juni in das Programm aufgenommen.
Auf Grund der durch gegenseitigen Informationsaustausch entstandenen engen Verbindung zur Fachgruppe Entomologie Karlsruhe erhielt ich schon bald Post von Dr. Robert Trusch, Leiter der dortigen Fachgruppe und Kurator Lepidoptera am Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe mit dem Vorschlag einer gemeinsamen Unternehmung in den Vinschgau. Die Karlsruher Kollegen bearbeiteten bereits seit mehreren Jahren das Studiengebiet „Oberer Vinschgau zwischen Reschen und Taufers, Norditalien“ im Rahmen eines Projektes der SOCIETAS EUROPAEAS LEPIDOPTEROLOGICA (SEL) zur Kartierung der Großschmetterlinge und würden auch in 2010 erneut mit geplant 15 Mitgliedern dieses Gebiet bereisen. Es bedurfte nur einer geringen Zeitspanne zur Zustimmung, um den von uns vorgesehenen Zeitrahmen von 3 auf 5 Tage und die Tour von Juni auf Juli abzuändern. Mit dem Beitritt zur SEL war auch die organisatorische Seite zur Sammel- und Befahrgenehmigung geregelt, da das SEL-Projekt von den Landesmuseen Innsbruck und Bozen organisiert und gefördert wird.
Von den derzeit direkt in und um Magdeburg aktiven 7 Mitgliedern der EGM erklärten ursprünglich 3 Kollegen ihr Interesse an dieser Fahrt. Es verblieben dann mit Holger Breitbarth und mir endgültig 2 Teilnehmer. Für uns „Kurzentschlossene“ orderte Holger bereits umgehend im Januar im Gasthof Gerstl parallel zu den Karlsruher Freunden unser Quartier.
Damit begann die „heiße“ Phase der organisatorischen Vorbereitung. Frühzeitig wurde eine Liste aller mitzuführenden Ausrüstungsgegenstände angelegt und Stück für Stück erweitert. Es wurde neben dem generator- und batteriegestützten Lichtfang auch der mögliche Köderfang vorbereitet, der Tagfang mit den nötigen Sammlungsutensilien zusammengestellt und ganz nebenbei auch die persönlichen Reiseutensilien geplant. Schon bald war klar – ein PKW-Kombi reicht einfach nicht! Holgers Bereitschaft, die Tour mit seinem Transporter durchzuführen, enthob uns aller Transportsorgen. Zur Sicherheit wurde ein preisgünstig von Holger kurz vor Reisestart beschafftes 3kW-Notstromaggregat in Ergänzung des bisher von mir genutzten 0,7 KW Honda mit an Bord genommen.
Am 15.Juli, einem Donnerstag, begann dann glücklich um 05.15 Uhr die Reise. Eigentlich war der gemeinsame Start um 04.30 Uhr geplant. Jedoch war bei einem der Teilnehmer die Aufregung so groß, dass er sich nur schwer von der Toilette trennen konnte, bei dem anderen wurde prompt der Wecker überhört. Wie gut, dass alle Ausrüstung Tags zuvor bereit gestellt war und nur noch verfrachtet werden brauchte!
Los ging es über die A14 bis Leipzig, weiter auf der A9 Richtung München. Schon bald meldete das Navi die erste Hiobsbotschaft: Vor München ein sich aufbauender 6 km langer Stau! Also wird kurzentschlossen der Umleitungsempfehlung Folge geleistet und die Strecke über die A70 Richtung Würzburg zur A7 über Ulm, Kempten, Reutte, Fernpaß nach Österreich gewählt. Auf der Bundesstraße 314 und 189 geht es weiter nach Imst, von dort für eine kurze Strecke über die Inntalautobahn A12 bis Landeck.
Vor Imst wurde dabei gegen 14.00 Uhr eine Rast zur Einnahme eines verspäteten Mittagessens aus der Rucksackverpflegung gehalten. Natürlich an einer Stelle, wo der entomologisch geschulte Blick von einem blühenden Wiesenstück gefangen wird. Und prompt wird der erste hochinteressante Bockkäfer entdeckt. Ein Gelber Vierfleckbock (Pachyta quadrimaculata) und schon ist das Essen unwichtig und wir beide sind auf der Käferjagd! Nach einer Viertelstunde und weiteren 6 bis 7 Arten lautet das Fazit des Bockkäferspezialisten Holger : Eigentlich kann nun nichts mehr passieren, die Reise hat sich bereits jetzt gelohnt!
In Hochstimmung wird nun das restliche Teilstück über den Reschenpass in die Region Mals geschafft und das Ziel, der Rasthof Gerstl, zwischen Burgeis und Schlinig auf ca.1650 m gelegen, gegen 15.30 Uhr erreicht. Dabei spielte uns das Navi noch einen kleinen Streich: Statt die gepflegte Bundesstraße östlich um den malerischen Reschensee beizubehalten, lenkte es uns westlich auf einen sehr schmalen Hangweg westlich und weit oberhalb des Sees Richtung Burgeis. Stets in Sorge vor möglichem Gegenverkehr gab es damit einen Vorgeschmack auf die uns abseits von den gepflegten Touristenverbindungen im Gebirge erwartenden Straßenverhältnisse.
Es ist
geschafft!
Unser Domizil!
Ursprünglich hatten wir unser Zimmer vom Donnerstag bis Montag angemeldet, es jedoch wegen beruflicher Erfordernisse Holgers nachträglich bis Sonntag reduziert. Unser Wunsch, diese Änderung wieder rückgängig zu machen, erfüllte die freundliche Herbergsmutter, Frau Gerstl, nach einem Blick in die Zimmerdisposition auf der Stelle, auch wenn es nach der ersten Nacht noch einmal einen Zimmerwechsel erforderte. Wir erhielten aber dann eine Suite im Neubau, die uns sogar besser gefiel, als das schon sehr schöne Zimmer der Ankunftsnacht. Die traumhafte Aussicht auf Mals blieb uns auch im neuen Zimmer erhalten :
Nach dem Auspacken und dem ersten erfrischenden Trunk aus dem Zapfhahn war die einsetzende Müdigkeit fürs erste gebannt. Das herrliche Wetter zwang förmlich zum Griff nach der Exkursionstasche und sofort ging es bei gut 30°C steil bergauf zur Erkundung der näheren Umgebung. Schon bald ging uns die Puste aus und wir mussten unsere Ungeduld einem etwas gemäßigterem Schrittmaß anpassen. Achtungsvoll beobachteten wir Anwohner bei der Grasmahd zu Fuß mit schwerem Gerät in den Hanglagen – was sollte dagegen die Last der eigenen mitgeführten Gerätschaft schon sein!
Nach kurzer Strecke fand sich eine von Mischwald umschlossene Lichtung mit lebhaftem Insektenflug. Also Netz frei und vorsichtig am steilen Hang die ersten Fangversuche unternommen. Schon bald waren die ersten Scheckfalter, Bläulinge und Zygaenen erbeutet. Besonders erfreute mich der Fang einiger Idea flaveolaria, einer auf den ersten Blick unserer in der Colbitz-Letzlinger Heide seit 60 Jahren verschollenen Idea aureolaria sehr ähnlichen Geometride.
In die Unterkunft zurückgekehrt, wurde der Fang präpariert. Diese kurze Zeitspanne nutzte Holger fast augenblicklich für eine nach fast 10-stündiger Fahrt wohlverdiente Augenpflege.
Es tat mir zwar etwas leid, ihn wecken zu müssen, aber um 18.30 Uhr gab es das Abendessen und die Begrüßung mit den Karlsruher Kollegen. Robert Trusch führte uns sehr freundlich in den Karlsruher Kollegenkreis ein und wir wurden ohne weiteres akzeptiert und willkommen geheißen. Holgers anfängliche Bedenken als alleiniger Käfersammler im Kreis der angesagten Schmetterlingsfreunde stellte sich sehr bald sogar als sehr hilfreiches Moment dar. Seiner Bitte, bei Beifängen, die auch nur entfernt an Bockkäfer erinnern, doch eventuell an ihn zu denken, wurde interessiert aufgenommen und in den Folgetagen mit so manchem tollen Fundstück bereitwillig entsprochen.
Während des 5-Gänge- Abendessens, das übrigens allabendlich für den mit 3 Sternen etikettierten Gasthof einfach großartig und ausgesprochen exquisit war und stets fast 2 Stunden in Anspruch nahm (als die einzige und unüberwindbare Pflichtpause in diesen Tagen!) erfolgte die Absprache zu den individuellen Zielen im Projektgebiet. Als Ortsunkundige nahmen wir gern die vorbehaltslosen Hinweise und Tipps der Kollegen auf, die dieses Unternehmen nun bereits zum sechsten Mal in Angriff nahmen. Wir waren deshalb sehr dankbar für das Angebot von Dr. Rolf Mörtter, ihn zu einem aussichtsreichen Leuchtplatz oberhalb von Taufers bei etwa 1400 m begleiten zu können.
Gegen 21.30 Uhr erfolgte das Sammeln an den Fahrzeugen und los ging es für eine Strecke von ca. 20 Fahrminuten. Die avisierte Leuchtstelle befand auf einem Waldweg, der kurz vor Taufers von Burgeis kommend rechts den Berghang hinauf führte. Zwei nebeneinander liegende, interessant erscheinende und voneinander unabhängige Lichtungen waren das Ziel. Schnell war die Leinwand errichtet und das Zubehör an Ort und Stelle deponiert, da begann der Stress: Zuerst wurde der Stecker der Kabelverbindung zwischen meinem Honda und der Drossel an der Leuchtstelle überfahren. Zerquetscht, aber mit viel Mühe in Form gebracht, war er aber noch nutzbar. Glück gehabt, denn Ersatz hatten wir nicht bei. Kaum lief der Generator eine Minute und begann die HQ-Lampen aufzuheizen, warf der Honda die Verbraucher nach stockendem Lauf ab. Gleiches Ergebnis bei weiteren Versuchen, dann sogar Totalausfall, auch ohne jegliche Last!
Da wäre guter Rat teuer gewesen, hätte Holger nicht die gute Idee gehabt, seine Neuerwerbung in Form des für einen Ein-Mann-Betrieb kaum transportierbaren 3KW-Stromerzeugers doch noch mitzunehmen! Also angepackt und umgerüstet. Der Jungfernbetrieb seines Gerätes lief zwar dem Hören nach auch nicht stressfrei ab, die Überschussleistung sicherte aber einen störungsfreien Lampenbetrieb für einen wunderschönen und sehr erfolgreichen Leuchtabend. Es blieb deshalb dann auch nur eine Gelegenheit, sich an den Leuchtstellen zu besuchen, die Ergebnisse auszutauschen und zu kommentieren. Dabei war Rolf eine hochwillkommene und freundliche Hilfe bei der ersten vor Ort vorgenommenen Determination von Alpenspezies, die von mir der Fülle neuen Materials wegen nicht machbar war. Diese fachliche Unterstützung von Rolf wurde mir auch in den Folgetagen bereitwillig zuteil.
Gegen 01.15 Uhr waren wir dann doch rechtschaffen müde, so dass der Abbau und die gemeinsame Rückfahrt mit gefüllten Steckschachten erfolgten. Nach dem Einsortieren und Duschen lagen wir dann rechtschaffen müde und zufrieden (vor allem Holger über seine Schwarzen Bergböcke (Saphanus piceus) und Gefleckten Pappelböcke (Saperda perforata)! ) kurz nach 02.00 Uhr im Bett, was in den Folgetagen üblich wurde. Die Anti-Schnarch-Ohrstöpsel blieben dabei sogar außer Betrieb!
Da mich die Fülle des Materials am Freitagmorgen bereits gegen 07.00 Uhr aus dem Bett an die Präparationsutensilien trieb, blieb nicht viel Zeit zum Ausschlafen. Gemeinsames Frühstück war zwangslos gegen 08.00 Uhr vereinbart. Wieder gab es die Besprechung zum Ziel der Tagesexkursion. Robert schlug die Tour zu den Gufrawiesen vor, die oberhalb der Reschener Almhütte auf etwa 2000 m gelegen ist. Es war möglich, bis zur Almhütte mit dem Fahrzeug zu gelangen und von dort aus zu Fuß und mit dem einsatzbereiten Kescher die letzten 200 m Insekten fangend zu absolvieren. Da die Parkplätze an der Almhütte begrenzt waren, stiegen wir mit zu Rolf ins Auto und gelangten über die bereits von der Herfahrt bekannte Bergstraße entlang des Reschen Sees nach knapp einer Stunde an das Ziel.
Start zur Tagesexkursion
Gufrawiesen mit Türkenbundlilien
Ein "illegaler Grenzübertritt!"
Nach 4 ½ Stunden einer Wanderung durch herrlich blühende Almwiesen mit lebhaftem Insektenleben, das ständig zu schweißtreibenden kurzen Sprints mit dem Kescher veranlasste, war die verabredete Einkehr zur Auffrischung des Flüssigkeitsverlustes um 15.00 Uhr dann doch sehr willkommen.
Die Reschener Hütte auf 2001 m
Blick von der Hütte ins Tal auf Reschen
Für mich war unter anderem erstmalig der Fang eines Schwarzgefleckten Ameisen-Bläulings (Maculinea arion) ein besonderes Erlebnis. Für Holger fing ein Karlsruher Sammelfreund einen Langhornbock (Monochamus sutor), der sich auf dessen Ärmel nieder gelassen hatte. Mit diesem Lichtblick endete auch für Holger diese Tagestour versöhnlich, da die Bockäferfauna auf diesen Höhen erwartungsgemäß sich nur noch auf einzelne Zufallsfunde reduziert.
Nach Rückfahrt ins Quartier blieben knapp 2 Stunden zur Sichtung des Fanges und Vorbereitung der dann später zu Haus erfolgenden Präparationen. Die Fülle des Materials erforderte, der Verlockung des wieder hergerichteten Bettes standhaft zu widerstehen! Lohn war pünktlich zur Abendbrotzeit die sauber untergebrachte Tagesaufsammlung.
Mit erneutem mit 5-Gänge-Menü wurden die erforderlichen Kraftreserven für den zweiten Fangabschnitt des Tages auf sehr angenehme Art und Weise schnell wieder aufgefüllt. Schnell war auch das Ziel für den abendlichen Leuchtplatz bestimmt: Eine bereits am Tage etwa 100 m oberhalb der Reschener Alm als lohnenswert eingestufter baumfreier Abhang mit Geröllschurre, der den tagsüber genutzten Wanderweg querte, auf etwa 2100 m sollte es sein. Da wir aus bisheriger Geländekenntnis gehörigen Respekt vor dieser Zufahrt hatten und es uns deshalb mit dem Transporter nicht so recht zutrauten, den Weg auch des Nachts zu fahren, nahmen wir die Einladung von Rolf wieder liebend gern an.
21.00 Uhr auf Nachtfang umrüsten, Kombi-Kofferraum ergänzend mit unseren Utensilien bis zum Stehkragen gefüllt und los ging es. Oberhalb der Reschener Hütte war der Weg inzwischen für eine Rinderherde abgesperrt. Die Tore waren aber einfach zu öffnen und nach Durchfahrt wieder korrekt und problemlos zu sichern.
Die ausgewählte Stelle war dann schnell erreicht. Rolf montierte einen Leuchtturm am Fuße des Geröllhanges und einen weiteren am Weg mit Direkteinstrahlung talwärts. Viel Unterstützung konnten wir dabei nicht geben, der Anlagenbesitzer kommt nach jahrelangem Gebrauch zu ganz persönlicher Routine bei der Leuchtanlageneinrichtung. Zumindest beim Kabelentwirren konnten wir etwas helfend eingreifen.
Mit der Aufstellung und Inbetriebnahme der Türme kam nicht nur die Dämmerung, es machte sich auch ein etwas böiger Fallwind auf, der die Türme arg beutelte. Dieser Wind blieb uns in wechselnder Intensität erhalten. Da die Temperaturen aber im Verlaufe des Lichtfanges kaum unter 20°C absanken, war trotzdem ein sehr intensiver Anflug zu verzeichnen. Begeisternd schnell füllte sich die Steckschachtel, vor allem mit alpinen Arten, was mir, aus dem flachen Bördeland kommend, natürlich hochwillkommen war.
Holgers Fangergebnis tendierte gegen den Status „höchst-übersichtlich“, wie auch zu befürchten war. Einen Alleingang zum Leuchten in geringerer Höhe wollte er aber nicht unternehmen, so war das Interesse am Falteranflug bald erschöpft, der ausgeliehene Campingstuhl aber sooo bequem, die Augenlider sooo schwer …
Nachdem sich die anfliegenden neuen Arten nach 01.00 Uhr deutlich reduzierten, wurde eingepackt und die Rückfahrt gestartet. Diese wurde unerwartet abwechslungsreich: Erst blockierten widerkäuende Rinder den sehr schmalen Weg abwärts und konnten sich nur dem nachdrücklich drängenden Kotflügel beugend in Bewegung setzen. Kurz darauf geriet noch fast ein den Weg querendes Reh unter die Räder. Nachdem wir dann heil und unversehrt Dank der Bergstraßenroutine von Rolf im Gasthof eingetroffen waren, Gerätschaften verstaut und die Dusche genommen hatten, lagen wir wieder kurz nach 02.00 Uhr in den Betten.
Der Wetterbericht kündigte für Samstag, den 17.Juli, schwere Schauer und Gewitter, vorerst für den östlichen Teil der Österreichischen Alpen an. Trotzdem schien in unserem Gebiet die Sonne zum Frühstück wieder strahlend und verlockend. Deshalb war das Tagesziel unwidersprochen: Es sollte auf den Watles, den „Hausberg“ von Mals gehen.
Robert hatte die Fahrscheine für den Lift vorgeordert. Nicht bedacht war, dass einige Senioren auf der Ermäßigung von 1,- € des regulären Fahrpreises von 8,50 € bestanden. Das verursachte beim Kassierer an der Unterstation heftiges Knurren wegen des zusätzlichen Rechenaufwandes. Trotzdem ging es dann bald erwartungsvoll 300 m hinauf auf ca. 2000 m. Von dort aus verteilten sich die Kollegen auf unterschiedlich hoch gelegene Wanderziele, nicht ohne zuvor den Treffpunkt zeitlich an der Unterstation zu vereinbaren.
Nach dem Eintreffen am Ziel der ersten Gondelstation besah sich Holger die baumlosen Alpenwiesen und entschied sich zum Rückmarsch zur Unterstation. Er erhoffte sich in den unteren baubestandenen Regionen doch noch den einen oder anderen Fang seiner „Böckchen“, auch wenn er sich mit nur geringer Erwartungen an der Tour beteiligt hatte. Und es kam, wie es kommen musste: Bei kurzer Rast auf einem Baumstamm sitzend umflogen ihn plötzlich ein paar Halsböcke (Judolia sexmaculata), von denen er einige nur mit der Hand mühsam erhaschen konnte. Der Kescher war ja im Auto geblieben, dort oben ist ja sowieso nichts zu holen! In der Folge blieb dann der Kescher wieder stets „am Mann“!
Ich wanderte sammelnd mit Robert und ein paar anderen Kollegen in Richtung der Pfaffen Seen bis auf ca. 2200 m. Dabei gingen einige der vielen in der Sonne fliegenden Bündner Scheckenfalter (Melitaea varia), ein Falter der alpinen Form des Goldenen Scheckenfalters (Euphydryas aurinia debilis) ebenso ins Netz wie ein paar der schnellen, an felsigen Abhängen anzutreffenden Glacies canaliculata. Auch ein Speerspitzenspanner (Rheumaptera hastata) konnte erbeutet werden. Es wurden auch einige Räupchen des Alpen-Widderchens (Zygaeana exulans) zur Weiterzucht aus einem großen Gelege eingetragen. Die Zucht zu Hause ging aber leider schief, da die Raupen das gereichte Futter nicht mehr annahmen.
Holger an der Unterstation des Watles-Liftes
Robert und Kollegen am Watles auf 2100 m
Im Sammelgebiet um die Pfaffen Seen auf dem Watles in 2260 m
Im Laufe des Tages zogen dann wie befürchtet dichte Wolken auf. Die Folge war ein sofortiger Stopp des üppigen Falterfluges. Da aber ab und zu doch noch die Sonne durchkam, war der Fang letztlich sehr zufriedenstellend.
Die drohenden Regenwolken erleichterten uns den Abschied von den schönen blühenden Alpenwiesen des Watles. Etwas fußmüde, aber sehr zufrieden nahmen wir die Rücktour mit der Seilbahn und konnten von der offenen Gondel aus den Blick ins Tal genießen:
Nach der kurzen Rückfahrt gab es die verdiente Erfrischung im Gasthof und anschließend die obligatorische Versorgung des Tagesfanges. Das Abendbrot fand anschließend bereits unter dem Vorzeichen von über den nördlich gelegenen Alpengipfeln aufblitzenden Wetterleuchtens statt. Noch rechtzeitig vor dem geplanten Start zum Nachtfang kam dann das Unwetter mit heftigen Gewittergüssen über die Gipfel auch in den Vienschgau. Aus war es mit der geplanten Tour!
Das Gewitter wurde nicht sehr tragisch benommen. Man setzte sich gemütlich zum Glas Wein auf die überdachte Terrasse und beobachtete entspannt das Abziehen des Gewitters. Da an den Beleuchtungen aber die ersten Eulenfalter anflogen, wollten Holger und ich die neuerworbene, kleine handliche Campingleuchte mit superaktinischer Lampe ausprobieren. Der Versuch in der unmittelbaren Umgebung des Gasthofes verlief trotz des böigen Windes entsprechend erfolgreich, wurde aber bald abgebrochen.
Der letzte Sammeltag, Sonntag der 18.Juli, begann wieder mit strahlendem Sonnenschein. Die Regenfolgen waren schnell von Wind und Sonne getilgt. Bereits beim gemeinsamen Frühstück vereinbarte eine große Gruppe, einen Ausflug in das bereits oft erwähnte Avignatal zu unternehmen. Vorerst sollte es eine Tagesexkursion sein, bei guten Bedingungen auch ein Leuchtabend dort stattfinden. Dabei erhoffte man sich vielleicht schon den Anflug eines Engadiner Bären (Arctia flavia), der zwischen 1500 und 3000 m mit Glück in ersten Exemplaren schon Mitte Juli anzutreffen sein könnte.
Der Eingang des Avignatales befindet sich südwestlich von Taufers. Das Tal erstreckt in nordwestlicher Richtung bis sich zur Schweizer Grenze und wir von Gipfeln mit 2400 bis über 3000 m Höhe umschlossen. Im Endstück des Tales unmittelbar vor der Grenze existiert als lohnendes Wanderziel keine Almhütte, so dass es vom Massenwanderbetrieb verschont bleibt. Damit ist es prädestiniert für eine ungestörte Sammelwanderung!
Der vordere Talbereich war von 1400 m Höhe am Eingang bis kurz vor der Mangitsalm in der Talmitte auf 1830 m noch befahrbar. Zur Reduzierung der Fahrzeuganzahl wurden erneut Fahrgemeinschaften gebildet, wir schlossen uns erneut Rolf an. Die letzten Meter bis zur geplanten Parkstelle waren bereits auf öffentlich gesperrter Strecke auf zunehmend unwegsamerem Untergrund zu absolvieren. Von hier aus sollte es nun zu Fuß etwa 2,5 km talaufwärts gehen. Wir bekamen dabei eine Vorstellung von den Anforderungen an die Fahrzeuge, sollte der Lichtfang im oberen Talabschnitt Realität werden, der dann angefahren werden sollte!
Bei noch bestem Sonnenschein, aber bereits auffrischendem Wind ging es dann mit gezückten Netzen los. Holger entschied sich zuvor jedoch für die Umkehr und wollte sich der verlockend an den Rändern der Zufahrtsstrecke deponierten Holzstapel annehmen. Es wurden Treffpunkt und Zeit für seine Aufnahme bei der Rückfahrt vereinbart und er wanderte in entgegengesetzter Richtung los.
Talaufwärts erreichten wir bald darauf vorbei an Schneeresten der Nordhänge der Schwarzen Wand einen etwa in der Mitte des Tales gelegenen Bergbauernhof:
Mit etwas Sorge begannen wir die Wolkenentwicklung zu beobachten.
Ein recht pittoresker Brunnen erfrischte die Wanderer und bei unserem Passieren zwei unentwegte Biker.
Vereinzelte Wolken verhüllten kurzzeitig die Sonne, was augenblicklich die Falter am Boden festhielt. Nach dem schnell aufgezogenen Gewitter des Vorabends waren wir von möglichem Wetterumschwung vorgewarnt. Es blieb aber zu unserer Freude trocken.
Roberts Vorbereitung zum letzten Abschnitt
Blick voraus mit Guardaskopf-Gruppe 2700 m
Robert mit Rolf und mir bei einer kleinen Rast kurz vor dem Ziel
Der Blick zurück ins Tal zeigt einen kleinen, friedlich plätschernden
Gletscherbach. Wie es zur Schneeschmelze, vielleicht nach zusätzlichen Frühlingsregenfällen aussehen kann, ließ sich aus dem breiten Schotterbett, jetzt mit blühendem Wollgras bewachsen,
erahnen:
Es ist erreicht: Das Ende des Tales, umschlossen von hohen Grenzgebirgen, Fluggebiet des Hochalpen-Apollos (Parnassius phoebus), der auch vereinzelt beobachtet werden konnte. Es flogen in Anzahl Falter des Moor-Perlmutterfalters (Boloria pales). Leider war das kleine Hochmoorareal unerwartet trocken gefallen und als Ziel des geplanten abendlichen Lichtfanges nicht sehr attraktiv.
Auf der blühenden Hochalpen-Wiese vor verbliebenem Gletscherrest
Blühendes Hochalpen-Biotop auf ca. 2200 m Höhe
Kleinblütiger Enzian
Abgestreifte Schlangenhaut vor Steinbrech
Der angetroffene trockene Zustand des Hochmoores in Verbindung mit dem stärker auf- frischenden Wind beförderten schon bald die Entscheidung, auf die schwierige und riskante Zufahrt zum an sich hochinteressanten Lichtfang in diesem Bereich doch schweren Herzens zu verzichten.
Für die Fotofreunde gab es das eine oder andere lohnenswerte Motiv:
Ein Gespinst mit fast erwachsenen Raupen des Alpen-Ringelspinners
(Malacosoma alpicola)
Die Raupen des Alpen-Ringelspinners waren in verschiedenen Entwicklungsstufen zu finden. Für ein halbes Dutzend eingetragener Raupen fand sich noch ein Transportbehältnis, um die Art zu Hause zum Falter fertig zu züchten (bereits am 01.August entließen 3 Kokons die Falter).
Nur sehr zögerlich folgte ich dem stillen Ruf des unerbittlichen Uhrzeigers zum verabredeten Sammelpunkt. Für einige Belegstücke des Hochmoorgelblings (Colias papaeno) und des Alpen-Gelblings (Colias phicomone) konnte aber bereits zuvor gesorgt werden. Bei dem aufmerksamen Abstieg ging auch noch ein weiterer Skabiosen-Scheckenfalter der Form (Euphydryas aurinia debilis) ins Netz.
Etwas Aufregung gab es noch, als Robert eine frische Geometride Xanthorhoe munitata in einem sumpfigen Wiesen-Bereich fangen konnte. Etwa 200 m weiter talabwärts fand sich eine ähnliche Stelle. Nachdem auch Rolf diesen Falter sauber im Netz hatte, mussten da doch mehr zu finden sein! Und prompt flog auch kurz vor mir einer dieser kleinen Falter auf. Mit dem Netz ausholen, mit großem Schritt nachsetzen und zuschlagen und …. längelang auf der Nase liegen! Die hochgewachsenen Grasbülten hatten etwas gegen unkontrolliertes Zutreten! Nach dem Aufrappeln mit nassen Hosenknien ergab die Netzkontrolle – Erfolg!, der erste Falter einer schönen, an dieser Stelle erbeuteten Belegserie!
Die Rückfahrt begann mit halbstündiger Verspätung. Trotzdem musste am Taleingang ein Südhang inspiziert werden, waren doch hier bei der vormittäglichen Zufahrt Apollos gesehen worden! Leider war es uns nicht vergönnt, diese schönen Falter zu Gesicht zu bekommen. Vielleicht hatten sie sich ob der gestiegenen Temperaturen in unzugängliche, höhere Lagen verzogen.
Holger wartete bereits an verabredeter Stelle mit schon von weitem sichtlich zufriedenen Gesichtsausdruck: Seine Holzstapel Kontrolle hatte mehrere für ihn neue Prachtkäferarten und von seinen ganz besonderen Lieblingen einige Schmalfühlerige Widderböcke (Clytus lama) erbracht. An einem derartig erfolgreichen Tag wird sogar ein Sonnenbrand locker überspielt!
Die Entscheidung, den abendlichen Lichtfang nicht im Avignatal durchzuführen, blieb bestehen, da der frische Wind auch bis zum Start gegen 21.30 Uhr unvermindert anhielt. Aus diesem Grund beabsichtigte Rolf, eine bereits bekannte Stelle am Berghang oberhalb von Laatsch auf etwa 1400 m Höhe aufzusuchen.
Er fuhr mit Dieter Fritsch voran, wir schlossen uns mit unserem Transporter an. Es war zwar gesagt worden, dass der Weg eng sei, aber was uns dann erwartete, trieb uns beiden die ersten Schweißperlen dieser Sammelreise auf die Stirn. Die schmalen und vor allem höchst engen Haarnadelkurven mit zum Teil extrem steilen Anstieg forderte von Fahrer und Maschine alles ab. Dazu kam, dass einige Kurven mit Felsbrocken markiert waren, so dass die Kehren für PKWs gerade noch passierbar waren, es für Holger und seine lange „rollende Schrankwand“ aber Milimeterarbeit bedeutete, um ohne Blessuren davonzukommen.
Mit Aufatmen wurden die avisierten Leuchtstellen erreicht. Rolf hatte eine Stelle oberhalb unseres Platzes mit schönem Blick ins Tal, wir nutzten eine Wegekreuzung mit Lichtung im Wald. Beim Aufbau der Lichtfanganlage kam erstmals auch der mitgebrachte Rasentrimmer zum Einsatz, um eine möglichst ebene Auflagefläche für die Bodentücher zu erhalten. Ausgerechnet als Holger das Gras abmähte, kam noch ein einheimisches Pärchen vom späten Sonntagsausflug mit kleinem PKW vorbei. Den verblüften Gesichtsausdruck der beiden Insassen kommentierte Holger: „Die werden sicher denken – jetzt spinnen die Touristen komplett und mähen schon unsere Waldwege!“ So etwas kann uns aber nicht anfechten und schon bald waren die Lampen in Betrieb.
Es gab bei wechselndem Wind einen bisher noch nie erlebten, starken Anflug der Nonne (Lymantria monacha). In heimischen Gefilden wären schon lange die Flieger mit Häutungshemmern im Einsatz, waren wir uns sicher. Trotz des Windes ergab die Artenliste bis zum Abbruch des Lichtfanges gegen 01.00 Uhr gut 50 Arten. Die anderen Kollegen, die des schlechten Wetters wegen in der Umgebung des Gasthofes geblieben waren und dort leuchteten, hatten dem Vernehmen nach diese Artenzahl nicht ganz erreicht. So waren wir trotz der abenteuerlichen Bergzu- und –abfahrt mit dem abendlichen Ergebnis ganz zufrieden. Heil und ohne Kratzer an der Karosserie waren wir bald wieder zurück und bereiteten trotz der späten Stunde noch etwas die bevorstehende Abreise vor, bevor es in die Betten ging.
Am folgenden Montagmorgen gab es nach ausgiebigem Frühstück den allgemeinen Aufbruch. Wir verabschiedeten uns mit einem herzlichen Dankeschön von Robert, Rolf und den anderen Karlsruher Kollegen. Diese Tage hatten uns nicht nur interessante Käfer und Falter in wunderschöner Landschaft sammeln lassen, sondern auch neue und freundschaftliche Verbindungen nach Süddeutschland knüpfen und festigen lassen. Mit der Zusage nach einer hoffentlich möglichen Wiederholung und Fortsetzung dieser Projektarbeit in 2011 ging es ab 09.30 Uhr auf zur Rückreise.
Auch diese Tour bot wieder etwas Spezielles: erst verpassten wir die geplante Autobahnabfahrt bei Imst (eigentlich sollte die erste so erfolgreiche „Käferstelle“ noch einmal inspiziert werden), fuhren also dann die A12 über Kufstein zur A8 und prompt gab es wieder die fast erwartete Stauwarnung vor München. Erneut galt es laut Navi auszuweichen und schon waren wir wie auf der Hinfahrt auf neuen, unter staufreien Bedingungen nicht geahnten Pisten: Es ging ab Rosenheim über Landstraße zur A94, darauf weiter mit anschließenden Landstraßen zur A3 und darauf bis Regensburg, dann Wechsel auf die A93 bis kurz vor Hof, runter auf Landstraße, über Juchhöh (Hirschberg) dann endlich auf die Standardstrecke wie gewohnt über die A9 zurück nach Hause.
Mit anschließend ungewohnt umfangreicher, aber sehr erfreulicher Präparations- und Determinationsarbeit schloss sich unsere Beteiligung an der Sammelexkursion im Rahmen des SEL-Projektes für dieses Jahr.
Magdeburg, den 10.08.2010
Otto Elias